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Review This Story || Author: Michael Fuhs

Anna

Part 16

Kapitel 136



Die nächsten Tage und Wochen waren sehr aufregend für mich, sie huschten nur so vorbei und ich habe keine genaue Erinnerung mehr an sie. Ich weiß im Grunde nur noch, dass ich ständig am Lachen war oder am Weinen und dass Giselle kaum von meiner Seite wich und wir uns andauernd umarmten aus irgendwelchen Anlässen.

Ihre Mutter war zwar distanziert mir gegenüber, aber höflich und korrekt.

Ich bekam auch mal mit, wie sie mit tadelndem Unterton zu ihrem Mann sagte: „Du verziehst unser Kind zu sehr, Gerhard. Diese Anna ist bestimmt ein ganz reizendes Geschöpf und ich habe auch gar nichts dagegen, dass du sie ihr gekauft hast, trotz des völlig überhöhten Preises, aber musstest du sie unbedingt freilassen gleich? Jetzt ist sie so frei wie du und ich und kann nie mehr Sklavin werden und das wäre doch später auch noch zurecht gekommen.“

Ich sollte einfügen, dass die Epoche der Aufklärung eben doch nicht ganz spurlos vorübergegangen ist am Institut der Sklaverei. Friedrich der Große hat sie unter dem Einfluss Voltaires  sogar abgeschafft in Preußen (während dort die Leibeigenschaft bekanntlich paradoxerweise mit am längsten bestehen blieb in Deutschland) und das blieb sie auch, also abgeschafft, bis sie im Zuge der Reichsgründung 1871 wieder gesamtdeutsch Gültigkeit erlangte. Aber die eigentliche große Zäsur, die die Aufklärung setzte, war dieser entscheidende Bruch mit der altrömischen Rechtstradition, wonach auch Freie versklavt werden können. Seitdem kann man  nur noch als Sklave geboren werden, und auch nur dann, wenn beide Elternteile unfrei sind. Das Kind eines freien Elternteils ist automatisch frei, habe ich Euch ja bereits erzählt, auch das ein Verdienst der Aufklärung. Bei den Römern waren die Kinder von Sklavinnen noch automatisch unfrei, etwas, das die Konförderierten Staaten bei ihren Negersklaven wieder einführten und erst nach den Sezessionskriegen wieder aufhoben.

Genug des geschichtlichen Exkurses, ich könnte Euch noch so manches erzählen, etwa zum Sonderweg der ehemals sozialistischen Staaten, die die Sklaverei offiziell sogar aufhoben (seit dem Ende der Sowjetunion freilich wieder rückgängig gemacht sukzessive), aber eben nur offiziell, Sklaven  in Wahrheit aber nur umfirmierten zu Angehörigen des „Subproletariats mit eingeschränktem rechtlichem Status“, und so weiter und so fort.

Eigentlich will ich Euch damit nur begreiflich machen, was Giselles Mutter meinte, als sie ihrem Mann den Vorwurf machte, man habe mich doch nicht sofort freilassen müssen. Sie meinte halt, dass man den Geist nicht mehr zurück bekommt in die Flasche gewissermaßen, wenn man sie erst einmal entkorkt hat, und dass man es sich deswegen gut überlegen soll, ob man diesen Schritt wirklich tun will. Ein Sklave ist schließlich teuer, in meinem Fall sogar sehr, und mit der notariellen Beurkundung der Freilassungsurkunde, der Ausstellung der Personalpapiere löst sich dieser Wert unwiederbringlich in Rauch auf. 

Wisst Ihr, was ihr ihr Mann darauf erwiderte?

„Dorothea, meine Liebe, Giselle wollte aber keine Sklavin, sondern eine Freundin. Du weißt, wie schwer sie sich tut, Freundinnen zu gewinnen aufgrund ihrer geradlinigen Art, die nicht nur dieses verzogene kleine Biest Amelia vor den Kopf stößt. Sie ist eben eine kleine Sklavenbefreierin vor dem Herrn, unsere Giselle, und macht leider auch wenig Hehl aus ihrer Einstellung, Gott sei´s geklagt. Nun, jetzt habe ich ihr dazu verholfen, tatsächlich eine zu befreien. Ganz ohne Anti- Sklaverei- Liga oder sonstige illegale Umtriebe notabene.“

Da lachte seine Frau und sagte: „So habe ich das noch gar nicht betrachtet, Gerhard. Ich glaube, du hast recht.“


Wie gesagt, Giselles Mutter war und blieb auf eine distanzierte Art und Weise höflich und korrekt mir gegenüber, wir wurden nie warm miteinander.

Auch zu Valentina, der Familiensklavin, entwickelte ich kein herzliches Verhältnis. Sie war das typische Faktotum, ein Mensch mit Sklavenmentalität, wie man sie in allen Gesellschaftsschichten finden kann, nicht nur unter Unfreien. Von daher litt sie auch nicht sonderlich unter ihrer Stellung, ich glaube, in Freiheit hätte sie sich irgendwo eine untergeordnete Stellung gesucht, vielleicht auch einen entsprechenden Ehemann, und hätte sich auch sagen lassen, was sie darf und was sie muss.  Zumal sie ja wirklich gut behandelt wurde, die einzige, die ihr gelegentlich mal eine Ohrfeige gab, war Giselles Mutter, es gab keinen wie immer auch gearteten Strafraum im Haus und auch keinerlei Schlaginstrumente. Und wenn ihr Dorothea mal zu viel Arbeit aufbürdete, dann halfen Giselle oder ich ihr einfach, wenn wir Zeit hatten.

Ich gewöhnte ihr auch gleich ab, mich „Herrin“ zu nennen, für sie war ich einfach „Anna“. Wir  duzten uns  auch.

Giselle, die „Junge Herrin“, wollte meinem Beispiel sofort folgen, das kam aber so schlecht an bei ihrer Mutter, dass sie es wieder bleiben ließ. Sie versuchte zwar noch, über ihren Vater Druck auszuüben auf ihre Mutter, damit diese es doch gestattete, aber auch da biss sie auf Granit.

„Giselle, du hast deiner Mutter sehr viel zugemutet mit der Freilassung von Anna. Da hat sie erst mal dran zu kauen. Überfordere sie bitte nicht.“

„O.k., Papa, du hast recht. Ich werde Valentina sagen, dass alles beim Alten bleibt.“

„Ja, tu das, Kind, und danke, dass du so Rücksicht nimmst auf deine Mutter."


Zu Giselles Vater hingegen fand ich sofort einen Draht. Er war ein Freigeist, der zwar nicht mit den Zeitläufen haderte, aber sich doch ständig mokierte über sie auf eine gutmütige Art. Wie Giselle, das hatte sie wohl von ihm. Er lachte gern dröhnend und redete zu viel und oft auch mit zu lauter Stimme. Ich mochte ihn von Anfang an und er mich auch und wenn ich doch noch so was wie einen Vater gefunden habe in meinem Leben, dann ihn. Und das hat nichts damit zu tun, dass meine Freilassung ohne ihn letztlich unmöglich gewesen wäre, denn Giselle war ja noch minderjährig und hätte mich weder erwerben noch sonstwie Einfluss nehmen können auf meinen rechtlichen Status.

Ganz zu schweigen von der exorbitanten Summe, die Giselles Vater, wie ich annahm, ursprünglich für Nathalie gezahlt haben musste, um ein Tauschobjekt für mich zu erwerben, und von dieser Nachzahlung in bar. Über deren Höhe er sich zwar  ausschwieg, um zu verhindern, dass ich versuchte, meine Ankündigung wahr zu machen, ich werde alles zurückzahlen irgendwann. „Auf Heller und Pfennig, ich schwör´s!“

Giselle wusste übrigens nichts davon, dass Nathalie Teil des Deals gewesen war. Das verschwieg ihr ihr Vater, weil Giselle das nie akzeptiert hätte, einen Menschen gegen den anderen einzutauschen. Aber mir beichtete er, was ich ohnehin schon wusste. Das mit Nathalie, das war unter strengster Geheimhaltung gelaufen. Kauf per Auktion im Internet, Auslieferung durch einen dieser darauf spezialisierten Dienste. Gerhard bat mich um strengste Diskretion bezüglich dieses Teils der Geschichte, die ich ihm auch zusicherte.

„Anna, ich erzähl's dir nur, damit du dich nicht verplapperst irgendwann, dass diese Nathalie erst kurz vorher ankam, die würde mir den Kopf abreißen, die Giselle, wenn sie auch nur den Verdacht hätte, wie es wirklich gelaufen ist. Das kannst du dir denken“

Und ob!  

Ich habe ihm auch in meinem späteren Leben noch viel zu verdanken, aber das ist nicht mehr Teil dieser Geschichte. Genauso wenig, wie Ihr erfahren werdet, ob ich geheiratet habe, ob und gegebenenfalls wie viele Kinder ich habe und dergleichen. Mit Ausnahme dieses Schlußkapitels ist dies nämlich die Schilderung meiner Existenz als Sklavin, das interessiert Euch, Ihr habt viel erfahren darüber, wenn Ihr bis hier her immer noch bei der Stange geblieben seid, und der Rest geht Euch schlicht und ergreifend nichts mehr an, ja? 


Tja, wen gab es da sonst noch in der Familie? Rolf, den Irish Setter natürlich, der tatsächlich so ein weiches Fell hatte. Und seit auch ich mich zuständig fühlte neben Giselle für dessen Pflege, wahrscheinlich ein doppelt so weiches.

Und, last not least, Tante Klara, die zwar nicht im Haus wohnte, aber gern und häufig zu Besuch kam. (Also, als sie damals im Cafe meinte, sie habe Giselles Mutter schon „eine Ewigkeit“ nicht mehr gesehen, so hieß das: „Seit länger als eine Woche nicht mehr.“)

Sie war mir gegenüber, selbstverständlich wurde sie ins Bild gesetzt über die wahren Hintergründe, zunächst äußerst reserviert, und auch ich trat  stets unterkühlt auf in ihrer Gegenwart. Ich konnte doch wahrlich  nichts dafür, als Sklavin geboren worden zu sein. Ich hatte mir das nicht ausgesucht!

Bis mir Giselle steckte, der eigentliche Grund für ihr Betragen sei weniger in der Tatsache zu suchen, dass ich eine „Freigelassene“ sei, auch nicht darin, dass wir sie damals angelogen hatten im Cafe über meinen Sklavenstatus und ihr was vorspielten, nein- sie konnte einfach nicht darüber hinwegkommen, dass ich kein Abitur habe. (Sie selbst allerdings auch nicht.)

„Was, Giselle, ist das wahr? Deswegen behandelt sie mich so wie schlechte Luft? Das gibt´s doch nicht.“

„Glaub´s nur, Anna. Es stimmt!“

„Oh my Gawd!“ Wir lachten beide rasend.


Daraufhin zeigte ich mich ihr von meiner Schokoladenseite, und im Nu  war das Eis  gebrochen. Wir wurden noch ganz dick miteinander, sie und ich, ich mochte die verschrobene Alte immer mehr im Lauf der Jahre, ob Ihr´s nun glaubt oder nicht, und sie hatte im Grunde ihres Herzens, das  wirklich gutmütig war, auch einen Narren gefressen an mir. Die einzigen Differenzen, die dann und wann auftraten zwischen uns beiden, rührten von ihrer Behandlung Valentinas her.

Nicht dass sie grausam gewesen wäre zu ihr, im Unterschied zu Dorothea, die ihrer Sklavin schon mal richtiggehend eine pfefferte, wenn auch nicht häufig (so viel zu ihrer Ehrenrettung),  gab ihr Tante Klara  höchstens mal einen leichten Schlag mit ihrem allgegenwärtigem Sonnenschirm, der sich auch im Hause stets in ihrer Reichweite befand. (Winters nahm sie ihren Gehstock dafür, den sie wegen der Glättegefahr benötigte. Aber auch diesen nur für ganz leichte „Zurechtweisungen“, wie sie es nannte. Also sie deutete die Schläge eher so an, als dass sie sie ausführte.)

Nein, grausam war sie nicht, das wäre ihr völlig wesensfremd gewesen. Aber sie behandelte Valentina einfach wie etwas unter den Normalsterblichen Stehendes, und wenn sie sich sonst auch gerne wohlerzogen, ja geradezu gewählt, ausdrückte, und einen Mangel auf diesem Gebiet bei Giselle oder mir stets deutlich zu rügen wusste, bei Valentina galt das nicht.

„Scher dich raus, du faules Stück, arbeite gefälligst was, ich kann mir meinen Kuchen selbst auf den Teller legen.“ „Raus, auf der Stelle, arbeite, oder ich werde  dir Beine machen, du renitentes Luder, du!“ Und das sind noch  harmlose Beispiele.

Da versuchte ich doch hin und wieder, Valentina etwas in Schutz zu nehmen, weil die dann jedesmal einen bittenden Blick auf mich warf. Wahrscheinlich war es auch bis zu ihr durchgedrungen, dass ich die meiste Zeit meines bisherigen Lebens nichts anderes gewesen war als sie.

„Aber Tantchen“ (so nannte ich sie, sie hatte es mir höchstselbst erlaubt, Ihr erinnert Euch), „sprich doch nicht so gewöhnlich bitte. Hinterher heißt es, ich hätte es von dir gelernt, wenn ich auch so rede.“

„Anna, Kindchen, ich spreche doch nicht zu dir. Ich versuche doch nur, diesen Haushalt in Schwung zu halten. Natürlich sollst DU nicht so reden. Das möchte ich nicht hören. Du bist eine relativ gebildete junge Dame, und ich dulde nicht, dass du dich jemals so ausdrückst, haben wir uns da verstanden, Anna?“

Sie fasste mich scharf ins Auge bei diesen Worten, wandte sich dann wieder Valentina zu, mit wesentlich mehr verbaler Zurückhaltung.

„Du bist ja immer noch hier. Bist du taub? Du sollst dich rausscheren und dich nicht länger vor der Arbeit drücken, habe ich gesagt.“ Leichter Klaps mit Sonnenschirm. „Los, verschwind schon.“

Wieder ein Blick Valentinas auf mich, diesmal ein fragender.

„Ja, geh nur. Tantchen und ich, wir kommen schon alleine klar. Und danke, dass du die Kaffeetafel so schön hingerichtet hast.“

Valentina stellte nämlich immer Blumen drauf, wenn es welche gab im Garten, und faltete die Servietten ganz kunstvoll, richtige kleine Meisterwerke waren das.


Aber, wie gesagt, die ersten Tage im Besitz meiner Noch- Herrin Giselle  (eine Freilassung ist eine ziemlich umfängliche rechtliche Angelegenheit und das geht nicht von heute auf morgen) waren sehr turbulent und verschwimmen wie in einem Nebel vor mir, wenn ich daran zurückdenke.

Zumal ich ja auch noch ziemlich in einem Schockzustand war durch all das Erlittene. Und jetzt das: ich sollte freigelassen werden!

Der Kontrast war einfach zu stark, er überwältigte mich förmlich. Die Stimmungsschwankungen, denen ich unterlag, waren heftig, ich stürzte von einem Extrem ins andere.

Nun, da mich keine erbarmungslose Versklavung mehr zwang, die letzten Reserven an seelischen Widerstandskräften darauf zu richten, standzuhalten und mich nicht aufzugeben, brach manch Übles wieder hervor aus irgendeiner Gerümpelkammer des Gedächtnisses. Immer wieder hatte ich nachts unerträgliche Alpträume, aus denen ich schreiend erwachte, und regelrechte Flashbacks im Wachzustand. 

Gerade lachte ich noch mit Giselle zusammen über irgendwas, da kam wie aus heiterem Himmel eine Erinnerung an eine grauenvolle Einzelheit aus meiner Zeit im Sklavengefängnis hoch in mir, so lebendig, als sei ich wieder mitten drin in einer dieser alptraumhaften Folter-„Sitzungen“, oder ein Gefühl vollständiger Verzweiflung und Angst und Hoffnungslosigkeit  überwältigte mich urplötzlich mit derartiger Intensität, als habe meine Errettung nie stattgefunden. Dann warf ich mich von einer Sekunde auf die andere aufs Bett oder auf den Teppich  und flennte lauthals los.

Dann kam meine Freundin  zu mir und schmiegte sich an mich, streichelte mich, summte mir beruhigende Melodien ins Ohr, meist irgendwelche Kinderlieder. Wartete, bis ich wieder ruhiger wurde, ließ mich nicht los die ganze Zeit. Ich glaube, sie verstand, was in mir vor sich ging.

Ich muss sagen, die Berührungen Giselles waren in der ersten Zeit die einzigen, die ich ertragen konnte, die mir wohltaten sogar.

Auch heute noch mag ich es nicht, wenn man mich festhält oder sonstwie beengt. Aufzüge und Menschenansammlungen meide ich, so gut es geht, meine Furcht vor Dunkelheit hat sich noch verschärft, und ich kann kein Kellergewölbe betreten ohne starr vor Angst zu werden, das ist so seitdem . Das werde ich wohl nie mehr ganz los, trotz zahlloser Stunden Gesprächstherapie. Und obwohl ich immer Medikamente zuhause habe, ja sogar bei mir führe, wenn ich unterwegs bin, falls es mal wieder zu schlimm wird mit meinen Erinnerungen. Ich werde sie nie ganz tilgen können, bis zu meinem Tod nicht, das sagt mir nicht nur meine Therapeutin, das sage ich mir auch selber.


Doch zurück zu den ersten Tagen. Anwaltstermine (zur Vorbereitung meiner Freilassungspapiere), Besuch in einem Photostudio (ich brauchte ja diese neuen isometrischen Passbilder für meine neuen Ausweise), sonstwas für Ämter und Behörden mit langen Wartezeiten auf Fluren, Ihr glaubt nicht, was eine Sklavenfreilassung für ein bürokratischer Akt ist. Giselles Vater immer an meiner Seite, er musste ja die ganzen Unterschriften leisten. Giselle selbst meist auch dabei, das wollte sie sich nicht nehmen lassen, ihr Vater schrieb ihr oft Entschuldigungen für die Schule deshalb.

Schließlich der feierliche Termin beim Notar, an dem mir meine Freilassungsurkunde überreicht wurde. Mit einem Gläschen Sekt und Händedruck des Notars.

Dann wieder Amtsgänge, um meine neuen Papiere abzuholen, das muss man ja persönlich tun, die werden nicht zugestellt. Immer in Begleitung eines Familienmitgliedes (Giselles Mutter sah sich da auch in der Pflicht!), schließlich trug ich ja noch meinen Fußring und den eintätowierten Sklaven- Strichcode. Beides war zwar strenggenommen deaktiviert beziehungsweise mit meinem neuen Status in den Computern, aber das Eingeben neuer Daten  dauert ja gelegentlich. Wir wollten kein Risiko eingehen, nicht das Allergeringste.  Die Wahrscheinlichkeit, dass ein vermeintlich flüchtiger Sklave in Begleitung Freier ins Sklavengefängnis geworfen wird, ist um Zehnerpotenzen niedriger, als wenn dieser alleine unterwegs kontrolliert wird, der Computer noch nicht auf dem neuesten Stand ist und kein Ausgehschein vorgelegt werden kann. Da helfen dann alle Beteuerungen nichts, ja auch die Freilassungsurkunde nicht unter Umständen. Sie könnte ja eine raffinierte Fälschung sein, ja würde sicher als eine solche angesehen, wenn keine weiteren Personalpapiere vorgelegt werden, da die Menschen  heutzutage den vergänglichen Schriftzeichen auf den Bildschirmen von Computern oder Laptops  mehr Vertrauen entgegen bringen als Urkunden, und seien sie aus handgeschöpftem Büttenpapier.

Und natürlich die Gänge zu einem dieser auf die Kennzeichnung und das Einfangen von Sklaven spezialisierten Unternehmen, die sich natürlich auch erst umständlich vergewisserten, ob alles seine Richtigkeit hat, neue, noch nie gehörte Bescheinigungen verlangen, bevor sie sich daran machten, den Ring und die Tätowierung zu entfernen.

Das heißt, den Ring entfernten sie in einer längeren Sitzung mit ihrem Spezialwerkzeug, zur Entfernung der Tätowierung hingegen musste ich (mussten wir) ein paar Mal kommen, zumal mich diese Prozedur an eine Folterpraxis erinnerte und mir manch üble Stunde bescherte. Ich hielt also nicht lange durch pro Termin, was die Sache nicht eben beschleunigte.

Erst nach zwei Monaten war es soweit, dass ich mich unter Menschen trauen konnte ohne das Risiko, vielleicht doch noch für eine flüchtige Sklavin gehalten zu werden. In dieser Zeit habe ich mich kein einziges Mal alleine aus dem Haus gewagt, obwohl ich ja theoretisch jedes Recht dazu gehabt hätte.

Ich hatte aber sowieso noch keine große Lust dazu, da ich immer noch leicht Angstzustände bekam, wenn ich Giselle nicht in meiner Nähe wusste. Oder wenigstens ihren Vater, aber der war natürlich weg, arbeiten, wenn er mich nicht zu einem meiner Termine begleitete oder es war zufällig Wochenende.

Giselle konnte wegen mir die Schule auch nicht vollständig schleifen lassen, das erwartete ich auch gar nicht.

So schloss ich mich viele Vormittage lang ein in mein Zimmer, dem ehemaligen Gästezimmer, dass man flugs umgewidmet hatte zu meiner permanenten Behausung, zu meinem „eigenen Reich“. Nahm mir meist Rolf mit, den Hund, um was Lebendiges in meiner Nähe zu haben und was zum Streicheln und Kuscheln und Liebhaben. Ich glaube, nie vorher oder nachher ist sein Fell so gründlich gebürstet und gekämmt worden wie während dieser zwei Monate.

So, und im nächsten Kapitel muss ich euch noch was sehr Trauriges erzählen und dann ist diese Geschichte zu Ende.






Das 137. und Schlußkapitel



               

Glaubt nicht, dass ich meine Mutter vergessen hätte. Ich fragte mich oft, wie es ihr wohl ginge und wie sie fertig geworden war mit meinem Verkauf damals.

Ich sprach das alles durch mit Giselles Vater und er meinte: „Es ist deine Entscheidung letzten Endes, aber ich glaube, es ist besser, wenn du dann gleich zu ihr fahren kannst, sobald du wieder Kontakt aufgenommen hast mit ihr. Was ich tun kann, um dir da die Wege zu ebnen, zum Beispiel wenn sich dein ehemaliger Herr querstellt in irgendeiner Form, das werde ich gerne tun. Aber ich rate dir, noch zu warten. Schon weil auch du seelisch noch nicht sehr gefestigt wirkst auf mich, was natürlich kein Wunder ist bei allem, was erst so kurze Zeit hinter dir liegt.“

Ich folgte seinem Rat.  Ihn darum zu bitten, ob er nicht auch meine Mutter freikaufen könnte, wagte ich nicht, da er es nicht erwähnte. Er hatte ohnehin schon mehr für mich getan als je ein Mensch, meine Mutter und Giselle natürlich ausgenommen.


So geschah es, dass ich erst ein Vierteljahr später eines Abends im Vestibül am Telefontischchen stand und mit zitternden Fingern die Nummer meines ersten Herrn eintippte.

Es ertönte das Klingelzeichen. Einmal. Zweimal. Dreimal. Viermal. Ein fünftes Mal. Dann hörte ich das Klacken, wenn am anderen Ende der Leitung abgenommen wird.

„Hallo?“ Die Stimme meines Herrn. Meines ehemaligen Herrn, wie ich mich in Gedanken sofort korrigierte.

Ich brachte keinen Laut hervor, die Kehle war mir wie zugeschnürt.

„Hallo? Wer spricht denn da, bitte?“

„Anna“, würgte ich hervor.

Schweigen.

„Anna?  Habe ich richtig verstanden? Bist du es, die da anruft?“

„Ja, Herr.“

Mehr brachte ich noch immer nicht zuwege, und das kostete mich schon erhebliche Anstrengung.

Wieder ein Schweigen am anderen Ende der Leitung.

Was sollte er auch sagen? „Schön, dass du anrufst“ oder „Wie geht´s denn immer?“ vielleicht?

„Herr?“

„Ja, Anna?“

„Kann ich bitte Mama sprechen?“

Wieder Schweigen. Verdammt, so langsam könnte er mir schon etwas weiterhelfen. Es war doch auch für mich nicht einfach. Gut, ich hätte mich wahrscheinlich zuerst nach seinem Befinden erkundigen sollen, schon aus Gründen der Konvention, aber mir war nicht nach Smalltalk. Außerdem hatte ich immer noch diesen Kloß im Hals.    

„Anna, das geht jetzt im Moment leider nicht. Hast du überhaupt die Erlaubnis, mich anzurufen? Ich meine, dein neuer Herr, weiß er davon?“

Da kam es mir ganz leicht von den den Lippen:

„Herr, ich brauche keine Erlaubnis mehr. Ich bin jetzt eine Freigelassene.“

Dem erneut einsetzendem Schweigen war förmlich anzumerken, dass er heftig überlegte, dass es keines aus purer Ratlosigkeit war wie die vorherigen.

„Dann brauchst du ja auch nicht mehr „Herr“ zu mir zu sagen, Anna“, mehr fiel ihm aber dann doch nicht ein. (Das hätte ich allerdings auch so nicht gebraucht, da er mich ja verkauft hatte.)

„Ja, Herr.“

Es war wirklich nicht so, dass ich ihn veräppeln wollte, dazu war mir dieses Gespräch viel zu ernst, und dazu respektierte und mochte ich ihn sogar ein Stück weit immer noch viel zu sehr. Außerdem hätte ich nie was unternommen, das ihn hätte ungnädig stimmen und mein Hauptanliegen gefährden können, und das war, mit meiner Mutter zu sprechen.

Es war nur so- er war immer „DER HERR“ gewesen für mich, seit ich denken kann, auch der Herr in der Endlosgeschichte meiner Mutter: „Das ungehorsame Sklavenmädchen“, trug seine Züge in meiner Vorstellung.

Ich denke, er war sich im Klaren darüber, jedenfalls überging er das und ich bekam nie den Eindruck, auch künftig nicht, er habe den Verdacht, ich wolle es am Respekt fehlen lassen und mich lustig machen über ihn, wenn mir andauernd wieder ein „Herr“ herausrutschte.

Wir sollten uns nämlich noch mal sehen, bald sogar, ich und mein ehemaliger Herr , der trotz allem, was er mir (und Mama) angetan hat, nie aufhören wird, auch so was wie der gute Engel meiner Kindheit zu sein.

Ich meine, er hat mich in den Kindergarten gebracht, zur Schule. Er hatte immer ein offenes Ohr für mich, wenn ich mit meinen Kindersorgen zu ihm kam und sie ernst genommen und mich wirklich getröstet und nicht nur abgespeist. Ich weiß nicht, ob das alle Menschen sagen können von den Erwachsenen, die ihre Kindheit begleiteten.  Er hat sich auch für meine Erziehung interessiert und dafür, dass ich eine anständige Allgemeinbildung erhalte. Er hat mich nicht missbraucht als Kind. Also zumindest nicht als kleines Kind, weil ich mit dreizehn ja strenggenommen immer noch eines war. Er hat sie wenigstens bereut hinterher, diese Vergewaltigung.  Er hat immer viel geredet mit mir, bewies Geduld dabei und Humor.


„Herr?“

„Ja?“

„Warum kann ich nicht mit Mama reden jetzt? Ach gestatten Sie es doch, ach bitte, bitte, bitte. Oder später, ja? Ich rufe später noch mal an, wenn sie fertig ist mit ihrer Arbeit, und dann gestatten Sie es, ja?“

Schweigen.

„Anna?“

„Ja?“

„Anna, ich muss dir was sagen.“

„Was denn, Herr?“ Mir wurde mit einem Mal ganz beklommen zumute.

„Nicht am Telefon, Anna, das geht nicht am Telefon. Könntest du mich besuchen kommen? Wir müssen das unter vier Augen besprechen.“

„Herr, ich weiß nicht....“

Ich litt immer noch unter diesen Angst- und Panikattacken, die ich Euch geschildert habe und war mir nicht sicher, ob ich eine längere Reise, zudem noch alleine, durchstehen könnte.

Aber der Wunsch, meine Mutter wiederzusehen, war einfach übermächtig in mir. Das gab den Ausschlag, obwohl er mir noch anbot, nach Stuttgart zu fahren und sich dort ein Hotelzimmer zu nehmen. Wir könnten auch dort ein Treffen arrangieren, in meiner neuen Heimatstadt.

„Nein, Herr, ich hab´s mir überlegt. Ich werde zu Ihnen fahren. Ich sage Ihnen dann Bescheid, ja.“

„In Ordnung, Anna. Ruf an, sobald Du weißt, wann du kommst. Ich werde dich vom Bahnhof abholen, wann immer du ankommst. Und wenn ich mir freinehmen muss deswegen.“

Als Professor hatte er zwar viele Verpflichtungen aber auch viele Freiheiten und konnte es sicher einrichten, mich jederzeit abzuholen.


Ich musste die Sache  natürlich noch mit meiner „Familie“ besprechen. Ich schreibe „Familie“, weil Giselle war ohnehin wie eine Schwester für mich und zu ihrem Vater fühlte ich mich immer stärker hingezogen, fast neidete ich Giselle die Selbstverständlichkeit, mit der sie „Papa“ sagte zu ihm, während ich ihn nie anders als mit seinem Vornamen würde anreden dürfen. (Immerhin, das gestattete er mir, und das „Du“ auch, die Mutter zog dann wohl oder übel nach, und das Tantchen war ohnehin „Tantchen“ für mich.)

Es gab keine Probleme. Man war einhellig der Meinung, dass ich unbedingt meine Mutter wiedersehen müsste.

„Wenn sie noch bei ihm ist“, dachte ich mir. Wahrscheinlich hat er auch sie verkauft, aber vielleicht ja in der Nachbarschaft und dann will er es mir erst schonend beibringen und mich dann zu ihr führen, in das Haus ihres neuen Besitzers. „So wird es sein“, dachte ich mir.

Auch meine behandelnde Psychiaterin, ich war seit geraumer Zeit in ambulanter Behandlung, erhob keine prinzipiellen Einwände, bestand aber darauf, dass ich meine gesamten Psychopharmaka mitnähme auf die Reise und auch immer an die Einnahme dächte. Ich versprach es ihr. Sie verordnete mir noch Angstlöser für den Bedarfsfall.

So reiste ich ab, versehen mit allerhand Glücks- und Segenswünschen. Es lag mir so auf der Zunge, Giselles Vater anzubetteln und zuflehen, er möge doch auch meine Mutter freikaufen. Ich tat es nicht, dachte bei mir: „First things first.“

Erst wollte ich sie sehen, und hinterher würde ich ihm ihr hartes Los in den düstersten Farben schildern, und wie sehr sie unter der Trennung von mir litt. Ich war sogar bereit, ein sehr negativ eingefärbtes Bild meines ersten Herrn zu malen, um ihn zu rühren. Er bräuchte sie doch auch gar nicht frei zu lassen, sie könnte doch die neue Familiensklavin werden. Und Valentina könnte man doch verkaufen, dann wären doch die Kosten wieder drin, wenn man es geschickt anstellte, noch ein kleiner Gewinn, und meine Mutter würde überhaupt sehr viel besser arbeiten als Valentina (was stimmte!) und und und....

(Ich schämte mich sehr dafür, mitwirken zu wollen am Verkauf eines Menschen in eine ungewisse Zukunft, so wie es mir selbst  ergangen war vor nicht allzu langer Zeit, aber glaubt mir: für meine Mutter war ich bereit dazu!)


So trafen wir uns noch einmal, mein Herr (mein EHEMALIGER Herr) und ich.

Ich erschrak, als ich ihn sah. Er wirkte um Jahre gealtert, war ganz in sich zusammengesunken irgendwie, lief auch anders als früher, mit so kleinen Altmännerschritten, wenn Ihr wisst, was ich meine. Es war, als hätten wir uns vor Jahren das letzte Mal gesehen und er wäre ein Greis geworden seitdem- und dabei war es erst fünfzehn Monate her seit meinem Verkauf.  Im Januar kam ich zu meinem neuen Herrn- und jetzt hatten wir den April des darauf folgenden Jahres. Das sind nur fünfzehn Monate.  

Was soll ich Euch sagen, ich denke, Ihr habt es geahnt: er eröffnete mir, dass meine Mutter tot war.


Zuerst wollte ich es gar nicht glauben, dachte, er wolle vielleicht nicht zugeben, dass er sie verkauft hätte, flunkere mir etwas vor.

Als er mir jedoch die offizielle Sterbeurkunde aushändigte, sank es so langsam in mein Bewusstsein. (Wir Sklaven; das heißt, ich bin ja keiner mehr, haben zwar keine Personalpapiere-  Geburts- und Sterbeurkunden und standesamtliche Heiratszertifikate, wenn uns (also: ihnen) die Herrschaft die Eheschließung gestattet, werden für Sklaven genauso ausgestellt wie für jeden anderen Menschen. Geboren werden sie übrigens, ohne vorher um Erlaubnis gefragt zu haben, bei ihrem ersten Schrei kümmert sie kein Redeverbot, und vom Sterben lassen sie sich auch nicht abhalten, und wenn die Herrschaft ihnen zehnmal befähle, noch weiterzuleben.)


Er hat mir auch ein bißchen was mitgeteilt über den Zeitpunkt und die näheren Umstände ihres Todes.

Kurz nach meinem Weggang begann sie, bockig zu werden, aß nichts mehr, verweigerte Befehle. Er übersah das zwar nicht, aber sehr wohl darüber hinweg, wollte ihr Zeit lassen, strafte sie nicht, stellte sie frei von allen Pflichten, nahm sich eine Mietsklavin, benutzte Mama nur für den Sex. Er hatte wirklich vor, ihr, wenn nötig auch sehr viel, Zeit zu lassen, damit sie hinwegkommen könne über meinen Verlust. Ich glaube ihm das, er ist kein schlechter Mensch.

Dann eines Tages, ziemlich genau einen Monat nach dem Tag, an dem das „Greifkommando“ erschienen war, um mich zu meinem neuen Herrn zu bringen, Ihr erinnert Euch, war sie plötzlich verschwunden.

Im Zuge späterer Nachforschungen stellte sich heraus, dass sie wohl das Passwort meines Herrn für dessen Computer rausgekriegt hatte irgendwie, wie genau, das lässt sich nicht mehr rekonstruieren, sich heimlich einloggte und über die Seite www.sklavenstandsregister.com (das Äquivalent zum Personenstandsregister), die Adresse meines neuen Herrn erfuhr.

Sie schaffte es immerhin, dreihundert Kilometer weit zu kommen in Richtung auf das Schwabenland. Ohne Ausgehschein, mit ein paar Euro entwendetem Haushaltsgeld und ihren paar Ersparnissen, einem Koffer mit Kleidung zum Wechseln, dem gesamten Fahndungsapparat im Nacken.  Wie sie das genau angestellt hat, lässt sich auch nicht mehr lückenlos nachvollziehen. Sie gab sich wohl als Prostituierte aus, in einem Fall hat sie nachweislich die Nacht in der Schlafkabine eines Truckers verbracht, der in der dämmrigen Beleuchtung ihre Sklaventätowierung  (Fußreif trug sie keinen) nicht bemerkte oder nicht bemerkt haben will.

Als man sie aufgriff, hatte sie jedenfalls erhebliche Mengen an Bargeld bei sich, die keiner Straftat zugeordnet werden konnten.  

Während der Vernehmung im Sklavengefängnis (hier schauderte mir, mein Herr, will sagen: mein ehemaliger Herr, äußerte das so ruhig, ich wusste aber, was sich dahinter verbarg, hinter diesem Wort. Arme Mama!) gab sie an, sie sei von ihrem Geld nur deswegen nicht gleich direkt nach Stuttgart gefahren, da sie mit einer Überwachung der Verkehrswege und des Bahnhofs rechnete. Zu Recht selbstverständlich. Sie habe vielmehr vorgehabt, sich in   kleinen Bordellen, in denen man es nicht so genau nehmen würde, als Prostituierte zu verdingen, weiteres Geld zusammenzusparen als Vorbereitung auch für meine Flucht. Um dann nach Wochen oder Monaten, sobald auch der Fahndungsdruck etwas nachgelassen habe, zusammen mit „Kolleginnen“ im Pulk nach Stuttgart zu fahren, angeblich nur, um  dort zu arbeiten. (Die beherbergen ja gelegentlich entlaufene Sklavinnen, diese drittklassigen Puffs, entfernen ihnen bei Bedarf  sogar die Tätowierungen, nehmen dafür, aber klaro,  den mehrfachen Zimmerpreis und stellen sich, falls man ihnen auf die Schliche kommt, vor den Behörden ahnungslos, weil das natürlich streng verboten ist.)

Wie sie sich meine Befreiung im Einzelnen vorgestellt hatte, konnte sie nicht sagen, da sie dafür noch keinen konkreten Plan entwickelt habe. Sie hatte aber gehofft, für entsprechende Summen im Rotlichtmilieu kriminelle Helfershelfer zu finden.

Zu ihrem Pech (und wahrscheinlich zu meinem Glück, denn ich zweifle nicht daran, dass sie alles daran gesetzt haben würde, mich, einmal in Stuttgart,  aus der Gewalt meines Herrn zu befreien mit der ihr eigenen eisernen Energie, was über kurz oder lang dann auch meine Hinrichtung zur Folge gehabt hätte, also ihr gesamtes Vorhaben war doch Wahnsinn!) war der Wirtschafter eines dieser Bordelle ein gesetzestreuer Mensch, der sie der Polizei verriet. So haben sie sie gekriegt, nach unglaublichen dreihundert Kilometern und zwei Wochen später.


„Den Rest kannst du dir denken, Anna. Und du weißt auch, dass es eine gesetzliche Verpflichtung gibt, entlaufene Sklaven anzuzeigen.“  Der Herr, Pardon, mein früherer Herr, rieb sich die Augen.

Während dieses Gesprächs saßen wir uns gegenüber am „round table“ im  Wohnzimmer, dort, wo er sonst seine Doktoranden empfing. Oder seine vielversprechendsten Studenten im Rahmen eines Privatissimum.

Vor uns standen Kaffeetassen. Eine ungefähr vierzehnjährige Sklavin, mit Fußreif und Tätowierung außen am rechten Oberarm, ganz der zierliche Typ, den er so bevorzugte, hatte sie uns gebracht. Sie trug High Heels, auf denen sie sich sicher bewegte, war äußerst knapp bekleidet und wies am ganzen Körper frische Schlagspuren auf, wie sie nur von heftigen Auspeitschungen herrühren. Irrtum ausgeschlossen, da weiß ich schließlich Bescheid.  Ob er sie wohl missbrauchte? Da müsste er sich geändert haben.

Ich beschloss, dieses arme Ding, das mir sehr leid tat, nicht zu thematisieren. Ich hatte keine Angst mehr vor ihm, war ich doch jetzt unanfechtbar ein freier Bürger dieses Landes wie er auch, aber ich konnte ihr sowieso nicht helfen, ja, fürchtete, dass eine Bemerkung meinerseits ihr nur eine erneute Bestrafung einbrachte, sobald ich wieder aus der Tür war. (Beim Rausgehen wollte ich ihr dann noch heimlich eine Tafel Schokolade aus meinem Reiseproviant zustecken, mit ängstlicher Gebärde wies sie sie von sich. Das   bedauernswerte Mädchen machte insgesamt einen stark eingeschüchterten Eindruck, traute sich nicht, etwas zu sagen, streckte nur abwehrend beide Arme aus mit nach vorn gekehrten Handflächen, schüttelte mit zusammengekniffenen Lippen so heftig den Kopf, dass ihr schwarzes Lockenhaar flog. Da steckte ich die Schokolade wieder ein.)


Ja sicher, es gab sie, diese gesetzliche Verpflichtung, entlaufene Sklaven bei der Polizei anzuzeigen. Aber hätte er es nicht getan ohne dieses Gesetz? Auch so eine Frage, die ich mich entschloss, ihm besser nicht zu stellen.


Er seufzte, griff in die Innentasche seines Jacketts.

„Da habe ich noch was für dich, Anna. Ich habe es all die Zeit aufbewahrt und nicht geöffnet, glaube mir.“

Er reichte mir ein bereits etwas angeschmutztes zugeklebtes Briefkuvert. Auf ihm stand in der energischen Handschrift meiner Mutter quer über die Vorderseite nur: „Anna.“


„Danke, H...“. Diesmal bremste ich mich noch rechtzeitig, hatte wieder dieses vermaldeite „Herr“ sagen wollen. Ich hatte keinen Herrn mehr, verflucht und zugenäht!


Er reichte mir einen Brieföffner.

„Danke.“ „Bitte.“


Ich schlitzte den Umschlag auf, während er mich angespannt beobachtete.

Entfaltete den darin befindlichen Zettel, legte ihn jedoch vorläufig mit der Schrift nach unten auf den Tisch.


„Bevor ich ihn lese, möchte ich Ihnen eine persönliche Frage stellen. Darf ich das?“

Ein Nicken. „Ja. Frag.“

„Warum haben Sie mich eigentlich verkauft damals?“

Er antwortete nicht sofort, wandte sich an die kleine Sklavin.

„Geh! Verschwind in die Küche“, befahl er ihr.

„Ja, Herr.“ Sie drehte auf dem Absatz um und eilte aus dem Raum.

Er seufzte, schüttelte den Kopf. „Willst du es ganz ehrlich wissen, Anna?“

„Ja.“

„Gut, also die volle Wahrheit.“ Ein kurzes Zögern.  „Weil ich mich sonst noch mal vergriffen hätte an dir, und da hatte ich Angst davor. So, jetzt weißt du´s. Ich habe noch keinem Menschen die Wahrheit gesagt.  Immer nur gelogen, wenn ich den Grund angeben sollte.“ Er starrte vor sich hin.

„Aber- da war ich doch schon siebzehn. Und alles andere als ein Unschuldsengel. Da hätten Sie es doch tun können, oder nicht? Ich meine, da wäre doch nichts dabei gewesen.“

Damit wollte ich sagen, dass es mir so auf alle Fälle lieber gewesen wäre, als verkauft und von meiner Mutter und, ja, auch von ihm getrennt zu werden.

Er blickte nicht auf.

„Ja, Anna, ich weiß. Du warst tatsächlich ein wenig frühreif damals, bliebst ganze Nächte weg, hattest immer schicke Klamotten, ich hab mir da schon manches zusammengereimt. Aber- ich wollte nicht. Also nicht nochmal. Dich missbrauchen, meine ich. Ich weiß nicht, ob du das verstehst. Außerdem konnte ich das Geld ganz gut gebrauchen, obwohl ich gar nicht so viel bekommen habe für dich. Ich hatte mich ganz gehörig verspekuliert seinerzeit. War schlecht beraten worden. Das war ja diese Finanzkrise damals. Die kleine Finanzspritze hat mir, offen gesagt, auch ganz gut getan.“

So, das war es also. Ich verstand sehr wohl. Er wurde so langsam übermächtig in ihm, dieser Hang zu  kleinen Mädchen, er versuchte, anzukämpfen dagegen. Da musste der Auslöser weg. Ich.  

 

Hm. Und jetzt lebte er mit einem Sklavenkind zusammen. Schien es auch auszupeitschen. Hätte er früher nicht gemacht. 


Ich griff nach dem Brief. Er war schlicht, es stand nicht viel drauf. Rechts oben befand sich das Datum, das genaue Datum ihrer Flucht mithin.


Den Rest gebe ich hier wörtlich wieder.



Anna,


mein geliebtes Kind.


Ich verlasse jetzt unseren Herrn, um nach Dir zu suchen, obwohl es früher oder später meinen Tod bedeutet.

Vorher möchte ich Dich aber noch mal wiedersehen und Dich in meine Arme schließen.


                                                      Mama





ENDE


            

  


Review This Story || Author: Michael Fuhs
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